TL;DR
Digitale Tools steigern Produktivität in Kanzleien nicht automatisch – oft steigen zuerst Ablenkung, Kontextwechsel und Kommunikationslast. Wirkliche Effizienz entsteht, wenn Workflows integriert und standardisiert werden (statt Tool-Wildwuchs) und Führung aktiv „digitales Trommelfeuer“ reduziert. Studien zeigen: Unterbrechungen und E-Mail-Muster erhöhen Stress und senken wahrgenommene Produktivität – deshalb sind Prozessdesign, Implementierung und Schulung entscheidend.1
Jedenfalls nicht automatisch, warnen Expertinnen und Experten. Was Kanzlei-Inhaberinnen und -Inhaber wissen sollten – und worauf es ankommt, um das Potenzial innovativer Legal-Tech-Lösungen wirklich auszuschöpfen.
Seit vielen Jahren rätseln kluge Köpfe, warum die Produktivität trotz Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und immer neuer Tools kaum steigt. In Fachkreisen hat sich dafür der Begriff „Produktivitätsparadoxon“ etabliert.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefern eine plausible Erklärung: Unser Steinzeit-Gehirn ist nicht gemacht für die digital vernetzte Welt. Menschen seien durch die Flut von E-Mails, Messenger-Nachrichten und App-Benachrichtigungen „völlig überreizt“, erklärte jüngst die Neurowissenschaftlerin Laura Wünsch im Handelsblatt-Interview. Statt effizienter zu werden, seien viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „so gestresst, einsam und ausgelaugt wie nie zuvor“. Das Problem: Unser Gehirn habe sich „seit der Steinzeit nicht wesentlich weiterentwickelt“ – und könne das tägliche digitale Trommelfeuer deshalb schwer verarbeiten.1
Das ist auch für Kanzleien eine wichtige Nachricht: Digitalisierung ist nicht gleich Produktivität. Häufig passiert sogar das Gegenteil: Mehr Tools führen zu mehr Kontextwechseln, mehr Abstimmungsschleifen – und weniger Fokuszeit.
Warum digitale Tools Produktivität sogar senken können
Gerade in Kanzleien entsteht Produktivitätsverlust oft nicht durch „große“ Fehler, sondern durch viele kleine Unterbrechungen:
- Kontextwechsel im Minutentakt: Schriftsatz, E-Mail, Rückfrage im Chat, wieder zurück ins Dokument.
- Medienbrüche: Informationen liegen in E-Mail-Threads, Dokumentenordnern, Notizen und einzelnen Tools verteilt.
- Doppelte Datenpflege: Mandantendaten, Aktenzeichen, Fristen oder Streitwerte werden mehrfach erfasst.
- Unklare Übergaben: Wer arbeitet gerade woran – und was ist der aktuelle Stand?
Das Ergebnis ist frustrierend: Teams sind den ganzen Tag beschäftigt, aber nicht unbedingt wirksam. Und am Ende kostet das nicht nur Zeit, sondern auch Qualität – weil Fehler und Rückfragen wahrscheinlicher werden.2
Digital Leadership heißt auch: Menschen in Ruhe lassen
Damit ist klar: Um die digitale Transformation erfolgreich voranzutreiben, reicht neue Technologie nicht. Wichtig ist zudem ein Arbeitsumfeld, das unserer evolutionsbiologischen Prägung entgegenkommt und Ablenkungen reduziert. „Wer beim E-Mail-Schreiben immer hin und her schaltet – zu ChatGPT, zum Smartphone, zur Kollegin –, überfordert sein Gehirn“, so Wünsch sinngemäß.
Leadership im digitalen Zeitalter hat deshalb zwei Kernaufgaben:
- Kommunikationslast senken: weniger „Ping“, klarere Kanäle, weniger „nur kurz“-Anfragen.
- Arbeitsabläufe so gestalten, dass Fokus möglich wird: klare Prozesse, klare Zuständigkeiten, weniger manuelle Schleifen.
Heißt konkret: Nicht die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen, sondern die Notwendigkeit ständiger Rückfragen verringern.
Wo Legal Tech wirklich Produktivität schafft: weniger Kontextwechsel, mehr Flow
Eine positive Rolle können Automatisierungslösungen spielen, die Prozesse und Tools möglichst nahtlos integrieren – von E-Mails über Recherchen bis zur Dokumentenbearbeitung. Denn damit schaffen Kanzleien die technische Basis, um Medienwechsel und Ablenkungen zu reduzieren.
Der entscheidende Punkt: Produktivität entsteht nicht durch „noch ein Tool“, sondern durch bessere Workflows. Für Kanzleien sind drei Hebel besonders wirksam:
1) Standardfälle standardisieren (ohne Qualität zu verlieren)
Viele Tätigkeiten sind wiederkehrend: Mandatsannahme, Dokumentenerstellung, Aktenpflege, Fristen, Wiedervorlagen, Abrechnung. Wenn diese Schritte jedes Mal neu „zusammengeklickt“ werden, entsteht Reibung. Standardisierte Abläufe schaffen Verlässlichkeit – und entlasten Teams.
2) Daten einmal erfassen – überall nutzen
Wenn Informationen (Mandantendaten, Gegner, Aktenzeichen, Fristen) mehrfach eingetippt werden müssen, steigen Fehlerquote und Aufwand. Produktivität steigt, wenn Daten durchgängig genutzt werden: von der digitalen Akte über Dokumente bis zur Rechnungsstellung.
3) Kommunikation strukturieren
E-Mails sind in vielen Kanzleien das Betriebssystem – aber auch das Störfeuer. Produktive Teams definieren:3
- Welche Anliegen gehören in eine E-Mail – und welche in Aufgaben/Workflows?
- Welche Reaktionszeiten gelten wofür?
- Welche Informationen müssen in der Akte dokumentiert werden?
Warum Implementierung wichtiger ist als Features
Viele Kanzleien investieren in Software – und wundern sich, dass später alles ähnlich läuft wie zuvor, nur digitaler. Der häufigste Fehler: Man digitalisiert den alten Prozess 1:1.
Wirksame Einführung stellt andere Fragen:
- Welche Schritte sind wirklich nötig – welche nur historisch gewachsen?
- Wo entstehen Wartezeiten, Rückfragen, Doppelarbeit?
- Was lässt sich automatisieren, ohne juristische Qualität zu riskieren?
- Wer übernimmt im Team welche Rolle (Owner, Vertretung, Freigabe)?
Genau hier kann Legal Engineering den Unterschied machen: Prozesse analysieren, Workflows gestalten, Teams schulen – damit Software nicht nur „da ist“, sondern spürbar entlastet. (Mehr dazu: Legal Engineering bei iusta: https://www.iusta.io/legal-engineering)
Praxis: 6 Maßnahmen, mit denen Kanzleien das Produktivitätsparadoxon knacken
- Benachrichtigungen reduzieren: feste Kommunikationsfenster statt Dauer-Ping
- Ein System als „Single Source of Truth“: Akte, Dokumente, Aufgaben, Status an einem Ort
- Workflows statt Checklisten: wiederkehrende Vorgänge als standardisierte Abläufe abbilden
- Vorlagen + Automatisierung kombinieren: weniger Copy-Paste, weniger Fehler
- Klare Rollen & Übergaben: wer entscheidet, wer arbeitet zu, wer gibt frei
- Schulung als Pflicht, nicht Kür: Tool-Kompetenz ist ein Produktivitätshebel
Fazit: Produktivität ist ein Designproblem – nicht nur ein Toolproblem
Digitale Tools können Produktivität steigern – wenn sie das Richtige optimieren: Fokuszeit, reibungsarme Abläufe und weniger Kontextwechsel. Dazu braucht es Technologie und Führung: weniger digitales Trommelfeuer, mehr Klarheit.
Viele Kanzleien setzen deshalb auf integrierte, cloudbasierte Kanzleisoftware, die digitale Akten, smarte Workflows und sichere Kommunikation zusammenführt – damit weniger Medienbrüche entstehen und Routinen zuverlässig laufen. (Produktseite: https://www.iusta.io/produkt-kanzleisoftware)
Quellen:
- Handelsblatt-Interview (PDF) mit Laura Wünsch – zu Überreizung, Multitasking und Ablenkungen reduzieren.
- Mark, Gudith & Klocke (CHI 2008): “The Cost of Interrupted Work: More Speed and Stress” – Unterbrechungen: oft schnelleres Arbeiten, aber mehr Stress/Frust/Zeitdruck.
- Microsoft Research: “Email Duration, Batching and Self-interruption …” – mehr E-Mail-Zeit korreliert mit niedrigerer wahrgenommener Produktivität und höherem Stress.

